- Kategorie: Pu'erh, Sheng
- Herkunft: China, Yunnan, ???
- Jahrgang: 1970er
- Form: Sancha
- Unbekannter Produzent (via Puerh.uk)
Nachdem ich endlich wieder fit bin ist heute ein Tee dran, den ich schon seit längerem besprechen wollte: ein loser Sheng aus den 1970ern, den Paolo im Angebot hatte. Nun, wir alle wissen dass gerade bei losen, älteren Shengs das Alter gerne mal "großzügig" geschätzt wird und normalerweise würde ich alles vor 1990 als reines "Marketing" abtun aber bei diesem Tee ist die Sachlage etwas anders: einerseits hat Paolo offensichtlich gute Connections in China sonst könnte er nicht die Tees anbieten, die er im Programm hat (bzw. teilweise hatte, da die CYH Tees ja nun auf eine dedizierte Website ausgelagert wurden) und andererseits ist die Quelle für diesen Tee Mr. Ho. Zur Erinnerung: Mr. Ho ist der Produzent von dem tollen 2016er Gold Mark Guafengzhai sowie dem 2011er/2017er Gold Mark Laobanzhang - einem erfahrenen Sammler der schon lange im Business ist und unter Beweis gestellt hat, dass er gute Tees produzieren kann. Dennoch: gerade lose alte Tees haben meist einen Haken - oft ist das was man im Westen kaufen kann ein Sack Maocha der qualitativ nicht überzeugt um weiterverarbeitet zu werden und dann vergessen wurde oder der irgendwelche Schwächen wie eine zu feuchte Lagerung aufweist, wie es z.B. bei dem einzigen anderen (angeblichen) Sheng aus den 70ern der Fall war, den ich bisher hatte.
Aber da letztlich nur der Tee selbst für sich sprechen kann, schauen wir uns den etwas genauer an: es handelt sich um große, kräftige Blätter die man evtl. auch schon als Huangpian bezeichnen könnte (laut Beschreibung im Shop handelt es sich auch alte Blätter von wild wachsenden Bäumen) was aber zu erwarten war, denn die Quelle für alte, lose Sheng sind i.d.R. Teehäuser und -restaurants in Hong Kong, wo diese Art von Tee früher üblich war. Vergleicht man diese jedoch mit denen von dem anderen 70er Sheng sieht man, dass diese heller sind und mehr braun statt grau haben, was bestätigt, dass der Tee nicht die letzten 50 Jahre in Hong Kong vor sich hin gegammelt hat sondern schon seit langem in einer trockeneren Umgebung reifen durfte. Dass diese zudem sauber war bestätigt das Aroma - insbesondere vom nassen Blatt, denn hier findet sich keinerlei Keller- oder Muff-Noten sondern warme Erde und alte Bücher. Auch die Farbe des Aufgusses spricht dafür, denn obwohl sie erwartungsgemäß dunkel ist hat sie einen warmen Rot-Ton was in späteren Aufgüssen noch deutlicher wird.
Und genau das macht diesen Tee so interessant: von der Hong Kong Phase ist nichts mehr zu spüren und man kann sozusagen die Zeit selbst erleben, denn nach 50 Jahren hat diese über Geschmack und Kraft gesiegt und dem Tee einen äußerst subtilen Charakter verliehen. Wenn man genau hinhört kann man eine Vielzahl an unterschiedlichen "Andeutungen" wie Vanille, Karamell, Nussigkeit, Holz usw. (mit Traditional Chinese Medicine kenne ich mich nicht aus, daher kann ich zu diesem Statement nichts sagen) erahnen ohne dass sie sich jedoch voll zeigen. Ähnliches gilt für das Qi: man hat nicht den "Kick" wie bei einem jungen Sheng und auch noch nicht mal das langsame einschleichen wie von manch hochwertigem, subtil-wirkenden Sheng sondern eher eine ruhige Entspanntheit, auf die man sich einlassen kann, sich einem aber nicht aufzwingt. Am direktesten lässt sich sicher noch die Textur beurteilen: selbst mit meinem super-hartem Wasser ist sie weich und sanft wie Pudding jedoch nahezu ohne Gewicht - und durch und durch sauber, denn auch der Hui Gan ist sanft, angenehm und fühlt sich "rein" an. Definitiv ein ganz anderes Erlebnis als der andere "70er Sheng" - hier glaube ich wirklich, dass der Tee so alt ist wie er behauptet wird!
Aber bei all dem Lob muss auch gesagt sein, dass es dennoch ein sehr fordernder Tee ist: man muss sich Zeit und Ruhe nehmen und auf den Tee einlassen, sonst "überhört" man ihn - und sollte auch schon eine gewisse Erfahrung mit Pu'erh haben, denn als Anfänger hätte ich den Tee vermutlich als zu schwach abgetan und lieber zu einem Bulang gegriffen. Das macht mir auch die Bewertung der einzelnen Metriken sehr schwer: hat der Tee nun z.B. viel Charakter, weil er wie beschrieben etwas besonderes bietet oder wenig, weil er nicht mit viel Geschmack und Kraft aufwarten kann? Am besten ist vermutlich, man nimmt meine Bewertung nicht so ernst und wir bleiben bei dem Fazit, dass mir der Tee gefällt ;-)
Bewertung: 6-Sterne