- Kategorie: Pu'erh, Sheng
- Herkunft: China, Yunnan, Xishuangbanna, Mengla, Yiwu
- Jahrgang: 2021
- Form: Bingcha, 250g
- poetischer Name: Kōngshān yōuyùn gāogān (空山幽韵高杆)
- Besonderheit: Gaogan-Material
- Pu-erh.sk
(Original 09.07.2022)
Vorab: nach langer Überlegung habe ich mich nun dazu entschlossen mein Pu-Chart anzupassen - die bisherige Version war einfach zu sehr auf die Geschmacksebene fokussiert, was 2016 zwar noch passend war, da es schnell einen gut nachvollziehenden Eindruck vom Tee vermittelt hat - da sich meine Schwerpunkte zunehmend auf andere Metriken verschoben haben, wurde es Zeit für ein Update. Das neue Pu-Chart 2.0 bewegt sich etwas mehr auf der Metaebene, daher vermittelt es für sich allein genommen keinen ganz so greifbaren Eindruck vom Tee wie bisher (z.B. kann ein hoher Wert bei "Geschmack" sowohl bitter als auch süß sein, mit "Komplexität" kann z.B. die Wandlungsfähigkeit über die Aufgüsse hinweg oder die Gesamteindrücke auf einmal - dazu muss man dann begleitend die Notiz lesen), bietet aber meiner Meinung nach eine bessere Vergleichbarkeit und Aussagekraft über die Stärken (und Schwächen) des jeweiligen Tees. Da sich über die Jahre mittlerweile 775 Tee-Notizen angesammelt haben (stand heute), werde ich nicht alle auf einmal aktualisieren, sondern immer nur dann, wenn ich eine Aktualisierung zu einem Tee schreibe - bei neuen Notizen werde ich künftig direkt das neue System verwenden.
Nun aber zum Tee: da es sich um den direkten Nachfolger zu meinem absoluten Lieblings-Tee dem 2019er Rareness 5 handelt, war ich auf diesen Tee besonders gespannt - wobei das nicht ganz richtig ist - die 2019er Version bestand sowohl aus Material von kultivierten Bäumen, als auch von Gaogan-Bäumen, also den unkultivierten besonders hoch gewachsenen Bäumen - die 2021er Version besteht nur aus Gaogan-Material. Zugleich haben mich die 2020er China-Shengs von Peter aber auch gelehrt, nicht auf eine Fortführung des Gewohnten zu bauen, sondern mit einem offenen Geist an den Tee heranzutreten und sich überraschen zu lassen - idealerweise ohne vorher etwas zum Tee zu lesen und den Preis zu wissen (das dann erst im Nachgang beim Verfassen der Notiz). Und dafür bin ich dankbar, denn hätte ich auf einen ähnlichen Tee wie die 2019er Version gehofft, wäre ich maßlos enttäuscht worden - die beiden sind so verschieden wie Tag und Nacht. Gut, es ist kein so abgedrehter Alien-Tee wie der Rareness 6 aber trotzdem - dazu gleich mehr. Ein wichtiger Punkt zu Beginn ist sicherlich die Klärung des Grünheits-Faktors: die 2019er waren ja wirklich sehr grün produziert, wodurch sie für einen Sheng schon fast unerhört frisch waren - das ist natürlich vor allem wenn sie noch jung sind toll, weil alle absolute Knaller waren - die 2020er im Gegensatz dazu regelrecht orange, wodurch sie deutlich älter als nur ein Jahr wirkten (das mag an einer grundsätzlich anderen Produktion und/oder an der Versand-Odysee liegen). Die 2021er scheinen wieder in letztere Richtung zu gehen, wenn auch nicht ganz so extrem - aber das ist natürlich nach nur ein, zwei Tees nur bedingt zu beurteilen, daher werde ich das bei den kommenden Notizen nochmals aufgreifen.
Jedenfalls ist das Blatt sehr schön - ziemlich groß und dunkel aber noch im Rahmen von dem, was man von einem Sheng erwartet und nicht auf Rareness 6 Niveau - und hat im Nassen Zustand ein sehr schönes Aroma von schattigem, warm-feuchten Brombeer-Gestrüpp mit einer etwas kernigen Note, sehr vielversprechend, wenn auch nicht all zu intensiv. Dem Sample nach zu urteilen auch mit einer eher lockeren Pressung, worüber ich sehr froh bin - der Rareness 6 ist zwar ein unglaublicher Tee, aber wenn ich davon etwas lösen möchte, bin ich nicht weniger ratlos als bei der Frage, was das eigentlich für ein Material ist. Der erste Aufguss ist dann jedoch schon etwas überraschend: ich schmecke ... nichts. Also so gut wie nichts - einen Hauch pflanzlicher Süße aber sonst könnte es auch einfach nur Quellwasser sein - jedoch eines mit einer unglaublich dichten Textur: nicht unbedingt mega-schwer aber "dicht", ein wenig wie Wackelpudding (kleine Schwebeteilchen bleiben einfach im Aufguss stehen und sinken nicht ab und auch die kleinen Bläschen, deren trotziges Fortbestehen ein Anzeichen dafür sind, sind vom ersten bis zum letzten Aufguss vorhanden). Ich hatte gestern Abend schon mal im Stillen für mich allein den aktuellen Lao Mansa probiert und war beeindruckt von dessen Tiefe (Notiz dazu folgt bei der nächsten Session an einem WE) und auch wenn der Rareness 5 Tiefe bietet, ist sie im ersten Moment deutlich flacher. Dann aber zumindest Qi, oder? Schließlich war das Qi DAS Markenzeichen der 2019er Version. Naja, ein bisschen was tut sich schon im Kopf, aber eine Verwandtschaft zu dem Vorgänger ist auch hier nicht zu erkennen - bis auf die Textur scheint es so, als hätte ich den Tee "überhört" (erinnert mich etwas an das Erlebnis mit dem 2017er Yiwu Guoyoulin von EoT als dieser noch ganz frisch war - nur viel dezenter). Aber außerhalb vom Augenwinkel nimmt man doch etwas wahr, man spürt dass der Tee etwas zu bieten hat, sieht es aber (noch) nicht - dafür braucht es zunächst noch zwei Aufgüsse, bis ich langsam zu verstehen beginne. Der Tee ist etwas wie ein kleiner Bach im Wald: man kann sich ans Ufer unter einen Baum setzten, dem Plätschern des Wassers zuhören und wenn man sich darauf einlässt, die Stille in sein Herz lassen und sich selbst und die Welt außerhalb vom Wald vergessen. Mit der Zeit wird man empfänglicher für die vielen unterschiedlichen unaufdringlichen Aromen und leisen Geräusche am Ufer - das kühle, feuchte Moos, das saftige Grün des Unterholzes, das Knacken der Äste, das Summen der Insekten - man kommt ein Stück zurück zur Natur, die künstliche, hektische, sich selbst kannibalisierende Gesellschaft hat im hier und jetzt keine Bedeutung mehr. Man kann aber auch genau so gut am Bach vorüber gehen, ohne ihm die geringste Beachtung zu schenken - schließlich ist man ja im Wald um sein Sport-Pensum zu erfüllen und die Benachrichtigungen der mannigfaltigen Social Media Kanälen, die man während dessen verpasst, werden auch nicht weniger - also hurtig weiter. Haha, naja, was ich damit sagen möchte: das ist ein Tee der Disziplin erfordert - man muss sich darauf einlassen, genau hinhören, zwischen den Aufgüssen in sich hineinfühlen und nicht ablenken lassen - wenn man das macht, öffnet sich zusätzlich zur Textur auch Tiefe und Qi für einen und nach einer Weile ist der Kopf in Watte gepackt und man sitzt am Ufer. Wenn man nebenher noch etwas macht und sei es nur Musik hören übertönt das den Bach und man geht leer aus - absolut kein Tee für Anfänger! Aber trotz allem: die 2019er Version gefällt mir nach wie vor besser, daher bekommt diese eine etwas bessere Bewertung.
Spannend ist nun natürlich die Frage, wie es mit dem Tee weiter geht - ein Tee-Freund spricht immer davon, dass die Produktionen von Jingsong Yu zu Beginn auch eher verschlossen sind und ein paar Jahre brauchen, bevor sie sich öffnen - ob das hier auch der Fall ist? Man wird (hoffentlich) sehen...
Bewertung: 5- oder 6-Sterne
(Update 06.08.2022)
Bevor es an weitere neue Shengs geht, zunächst ein kurzes Update, da sich letztes Wochenende die Möglichkeit für ein kleines Tee-Treffen bot, an dem wir auch die 2021er Shengs von Peter getrunken haben - bei zweien gab es deutliche Unterschiede zu meinen sonst üblichen Eremiten-Sessions, weshalb ein erneutes Nachhorchen in gewohnter Umgebung angebracht ist. Einer davon war der Rareness 5 V2 - im Halbschatten unter einem Walnussbaum "inkognito" gebrüht konnte er die Runde überzeugen und der einzige Anwesende, der den Tee schon kannte (außer mir natürlich, aber ich wusste ja ohnehin, was ich brühe) hat den Tee auch bereits beim ersten Aufguss zielsicher erkannt. Dabei zeigte sich der Tee auf der Geschmacksebene deutlich offener, als in der ersten Session (auch wenn sich eine gewisse Zurückhaltung nicht leugnen lässt) - natürlich waren es radikal andere Parameter und jeder, der schon mal draußen Tee getrunken hat, dass ein Tee draußen ganz anders wirkt als drinnen - meist jedoch weniger intensiv auf Grund der zusätzlichen Eindrücke, was das ganze interessant macht. Die Vermutung war, dass an der Sache dass Tees nach einer Reise zunächst etwas "ankommen"/"ruhen" sollten etwas dran ist - etwas was ich zumeist ignoriere (so auch hier - der Rareness war der erste Tee, den ich probiert habe, nachdem das Paket bei mir angekommen ist), aber von verschiedenen Seiten immer wieder betont wurde. Vom Geschmack abgesehen hat der Tee aber sonst wie gewohnt "funktioniert" - und auf Grund des äußerst zufriedenen Gesichtsausdruckes eines Mittrinkers konnte eine andere Mittrinkerin den Tee dann genau so zielsicher identifizieren ;-)
Heute in gewohnter Umgebung hab ich extra ein neutraleres Zhuni-Kännchen gewählt, der kleine Sample-Rest ist zwar deutlich kleinteiliger und stammt im Gegensatz zum Brocken bei der ersten Session von der Unterseite des Bings (daher evtl. auch etwas grüner, wobei das vor allem am Foto liegt), aber das Aroma des nassen Blatts ist doch sehr vielversprechend: die einzigartige Birne der 2019er Version ist klar vorhanden. Im Geschmack dann jedoch wieder die bekannte Leere aus der ersten Session - evtl. etwas mehr weil Zhuni und mehr Bruch, aber nicht so wie unter dem Walnussbaum. Spannend, am Akklimatisieren des Tees liegt es also nicht - ich habe etwas anderes im Verdacht: das Wasser. Denn aktuell muss ich mit (gefiltertem) Leitungswasser brühen - zwar schon auch eine Mischung mit ungefiltertem, um den gewünschten Härtegrad hinzubekommen aber es ist definitiv etwas ganz anderes, als das mittlerweile sehr geschätzte (wenn auch mega-harte) Quellwasser, das ich sonst nehme. Denn logischerweise war es letztes Wochenende auch ein anderes Wasser und wenn man sich etwas mit dem Thema befasst weiß man, welchen Unterschied das Wasser machen kann - das gilt um so mehr, je dezenter und feiner ein Tee ist. Für mich ist die Leere aber nichts negatives - im Gegenteil, sie ist sogar extrem spannend! Sie schafft eine Diskrepanz zwischen Erwartung und Sein, ein Vakuum das einen hellhörig macht, wodurch die eigentlichen Stärken des Tees nur um so intensiver zur Geltung kommen - mit Nichts so viel zu schaffen ist ziemlich beeindruckend. Ich bin jedenfalls gespannt, wie sich der Tee mit dem gewohnten Quellwasser verhalten wird - wobei es wegen mit keine Veränderung bedarf, so muss sich Zen in flüssiger Form anfühlen.
Bewertung: 6-Sterne, Favorit
(Update 24.12.2022)
Wie zu erwarten war ist heute passend zum Fest der Rareness 5 V2 im Kännchen - und wer die bisherigen Notizen dazu kennt, wird auch die Keramikauswahl nachvollziehen können: bis auf das Teeboot (das von Jiri Duchek stammt) sind alles vollständig glasierte Stücke von Hong Seongil (홍성일은), um nicht auch nur die kleinste Facette der Geschmacksebene zu verlieren und so die Leere herauszufordern. Wie im Sommer ist das Aroma des nassen Blatts äußerst vielversprechend: extrem tief mit einer dunklen Fruchtigkeit - unaufdringlich aber raumfüllend und kräftig. Und doch bleibt der Tee hinsichtlich Geschmack stur wie ein alter Esel: auch mit neutraler Keramik lässt sich der Tee nicht dazu verleiten, das was das Aroma verspricht im Geschmack zu offenbaren, sondern bleibt völlig unbeeindruckt verschlossen wie ein Granit, als ob man das Nichts trinken würde. Ganz anders mit dem Qi: bereits nach einem halben Fingerhut durchströmt die Energie den ganzen Körper - und diese ist genau so einzigartig wie der Rest des Tees, denn ich hab noch keinen Tee erlebt, der so zentrierend wirkt wie der Rareness 5 V2. Während andere versuchen einen mit einem dicken Brett vor dem Kopf auszuknocken, die Glieder tonnenschwer werden lassen oder pures Adrenalin injizieren, lässt dieser Tee Ruhe in einem entstehen - ohne zu drängen, ja ohne eigentlich ohne eine bewusste Veränderung setzt sich der geistige Schlamm. Und so verrückt es auch klingen mag: genau dieses eigenartige Vakuum sorgt für einen besonders starken Fokus auf den Tee: man spürt ja, dass da was ist, kann es aber nicht direkt wahrnehmen - also fokussiert man und lauscht genauer, alles andere drum herum wird unwichtig und durch das unbewusste Erkennen der Bedeutungslosigkeit in all dem weltlichen Getöse, was sonst unsere Aufmerksamkeit beherrscht gelangt man zur Ruhe. Manchmal braucht es kein Zen, Dzogchen oder sonstige Praktiken - manchmal ist ein wirklich guter Tee ausreichend um Sati und Samadhi zu fördern und wenn auch nur temporär bin ich da ehrlich dankbar dafür. Danke Peter, dass du es mit den Rareness-Produktionen immer wieder aufs neue schaffst, etwas wahrlich außergewöhnliches zu finden, das einen auch nach etlichen hundert verschiedenen Shengs immer wieder aufs neue ins Staunen versetzt!
Und mit solch einem besinnlichen Tee im Schälchen bleibt mit letztlich nichts weiter, als allen frohe Weihnachten zu wünschen!
Details etwas länger gezogener Aufguss
auch nach 2 Stunden produziert der Tee fröhlich Bläschen
viel späterer Aufguss - und der Tee scheint sich gerade erst so langsam zu öffnen...
Update (06.08.2022): erster Aufguss
Details Teeschälchen Martin Hanus
deutlich späterer Aufguss (etwas lang gezogen)
Update (24.12.2022): inzwischen auch mit ganzem Bing