• Kategorie: Pu'erh, Sheng
  • Herkunft: China, Yunnan, Lincang, Mengku, Shuangjiang, Bingdao
  • Jahrgang: 2010
  • Form: Bingcha, 400g
  • Jinsong Yu (via Shui Tang)

Bevor wir zum Tee kommen: Bingdao (冰岛) hat sicher jeder schon mal gehört, der sich etwas mit Pu'erh befasst. Dabei handelt es sich um das wohl bekannteste Dai-Dorf in Mengku, das in Shuangjiang in der Nähe des Bangma-Daxueshan liegt Bis 1904 wurde es ausschließlich von Dai bewohnt und der Tee von dort wurde als Tribut-Tee für den Dai-Fürsten genutzt - frühe schriftliche Dokumente belegen, dass bereits 1485 dort Tee angebaut wurde, nach münglichen Überlieferungen bereits früher als die Ming-Dynastie. Die Krux bei der Geschichte ist nun, dass es sich bei Bingdao eigentlich um eine Dorfgemeinschaft (ähnlich wie z.B. GFZ) von fünf Dörfer (Bingdao, Nanpo, Dijie, Bawai und Nuowu) östlich und westlich des Bangma-Daxueshan handelt - aber lediglich bei Tee aus dem "originalen" Dorf handelt es sich um eben diesen berühmten Tee. Zur Unterscheidung nennt man das Haupt-Dorf daher manchmal auch Bing Dao Old Village (冰岛老寨), meist ist das aber leider nicht der Fall - und nur selten sind die Produzenten so fair anzugeben, wenn um welches Dorf es sich handelt. Daher gilt es hier wie so oft als Teetrinker vorsichtig zu sein, denn auf Grund der geringen Menge an verfügbarem Rohmaterial (das Hauptdorf hat 52 Familien und ca. 2000 Gushu Bäume auf seinem Gebiet) liegen die Preise mittlerweile fast auf dem Niveau eines LBZ und genau wie dort wir auch hier gerne geschummelt. Allerdings sollte man es auch nicht übertreiben: Meng-Lin erzählt in ihrem Buch "Der Tee aus den Wäldern" (was übrigens sehr zu empfehlen ist, denn es wird nicht wie bei zu vielen Tee-Büchern zum hundersten mal die selben, oberflächlichen Infos zu Produktionsmethode unterschiedlicher Teesorten etc. wiedergegeben, sondern es werden die Teeberge, die Menschen die dort leben und die Geschichten dahinter erzählt) eine nette Geschichte wie Yu 2006 einen Bingdao für einen Auftraggeber produziertet hat und als dieser dann (als der Tee fertig war) trotzdem noch nachgefragt hat, ob es sich auch wirklich um echten Gushu Bingdao handelt, wurde Yu wütend und hat ihm den Tee nicht verkauft.
Und noch ein Satz zum Wrapper: wie man sieht ist der Tee nicht wie aktuelle Yu-Tees gebrandet sondern wurde unter dem Label "All for Tea" produziert. 2012 trennte sich Yu von seiner Partnerin, die dann das Label mitnahm (das es übrigens immer noch gibt) - seither produziert er unter seinem eigenen Namen. Sehr nett finde ich übrigens das "±5g" auf dem Wrapper ;-)
Aber nun zum Tee: auf Grund der beschriebenen Problematik hatte ich bislang noch nicht das Vergnügen, sonderlich viele echte Bingdao zu trinken - lediglich eine ältere Notiz habe ich dazu zu einem Bingdao von HQF, der "damals" schon sündhaft teuer war, da es sich sogar um Mushu Cha handelt, also Tee von den besonders alten Mutter-Bäumen (auch hier ist es nicht wirklich trennscharf: was ist Mushu, was ist Chawangshu, ab wann wird aus Gushu ein Mushu). Aber auch wenn das schon fünf Jahre zurückliegt, erinnere ich mich noch genau an das Tee-Treffen mit 3 Tee-Freunden, an dem wir den Tee probiert haben: er hatte eine ausgeprägte minzige/mentholige Note. Und genau diese Note findet sich auch bei dem Bingdao von Yu bereits im Aroma des trockenen Blatts wieder, verstärkt sich beim nassen Blatt und bestimmt auch die Geschmacksebene - quasi die Essenz des Tees ist diese minzig-mentholige Note, denn dadurch hat der Tee trotz seines Alters von 12 Jahren einen kühlenden, erfrischenden Charakter (was übrigens wunderbar mit der eindeutigen Taiwan-Lagerung harmonisiert). Nicht umsonst bedeutet Bingdao übersetzt "Iceland" und hat der Erzählung nach seine "Wiederentdeckung" in der Moderne koreanischen Tee-Liebhabern zu verdanken (da in Korea vor allem frische Grüntees geschätzt werden). Die restlichen Facetten sind da eher nebensächlich: zu Beginn eine kühle Holzigkeit, die im Laufe der Aufgüsse in eine etwas wärmere Süße übergeht, ein Hauch Nussigkeit (auch wenn ich keine Kastanien feststellen kann, aber ich hab auch noch nie einen Maroni Panettone probiert) - alles nett, keine Frage, aber die Frische verleiht dem Tee einen einzigartigen Charakter - und auch wenn es an Vergleichsmöglichkeiten mangelt: so stell ich mir einen Bingdao vor! Sehr schön ist auch das belebende, lokal im Kopf vorne und oben wirkende Qi - deutlich wahrzunehmen aber sanft in der Wirkung: auch wenn es nicht wie bei manchen Yiwus schwer in die Gliedmaßen abfließt wird es nie unangenehm sondern richtet einen auf und löst sich in Leichtigkeit auf. Und auch wenn man merkt, dass es sich um einen Lincang-Sheng handelt - diese haben einfach nicht die Tiefe und Schwere eines Yiwus - ist es ein wirklich toller Tee, der mit einem Preis von 1,33€/g im Vergleich zu heutigen Produktionen noch fair bepreist ist. Das eingangs erwähnte Dilemma ob nun Hauptdorf oder nicht muss letztlich jeder für sich beantworten aber ich sehe es so: von den im Westen zugänglichen Produzenten (die einen Bingdao produziert haben - Peter hatte z.B. noch nie einen im Angebot) hat Yu mit Abstand die größte Authentizität, weshalb ich hier guten Gewissens einen Bingdao Gushu kaufen kann - bei YS und Co würde ich das nicht tun.
Bewertung: 6-Sterne, Favorit

2010 Bingdao (Yu) trockenes Blatt und Bing

2010 Bingdao (Yu) Details trockenes Blatt

2010 Bingdao (Yu) erster Aufguss

2010 Bingdao (Yu) zweiter Aufguss

2010 Bingdao (Yu) dritter Aufguss

2010 Bingdao (Yu) Details Aufguss

2010 Bingdao (Yu) späterer Aufguss

2010 Bingdao (Yu) deutlich späterer Aufguss

2010 Bingdao (Yu) viel späterer Aufguss

2010 Bingdao (Yu) noch späterer Aufguss

2010 Bingdao (Yu) Details nasses Blatt

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